Fluggastrechte – und die Entschädigung nur per Reisegutschein?

Es ist davon auszugehen, dass der Fluggast einer Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins zugestimmt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Formular ausgefüllt und damit auf die Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Geldbetrags verzichtet hat. Der Fluggast muss sich jedoch in einer Situation befinden, in der er von dem Luftfahrtunternehmen klare Informationen über die Erstattungsmodalitäten erhalten hat.

Dieser Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union lag der Fall eines Fluges von Brasilien nach Frankfurt zugrunde: Ein Fluggast reservierte bei dem Unternehmen TAP Air Portugal (TAP) einen Flug von Fortaleza (Brasilien) über Lissabon nach Frankfurt am Main. Der Anschlussflug wurde annulliert. Für die Erstattung der Kosten eines annullierten Fluges bietet TAP den Fluggästen an, dass sie eine sofortige Erstattung in Form eines Reisegutscheins erhalten, wenn sie ein Online-Formular ausfüllen; um andere Formen der Erstattung, beispielsweise durch einen Geldbetrag, in Anspruch nehmen zu können, müssen sie zuvor mit dem „Contact-Center“ des Luftfahrtunternehmens Kontakt aufgenommen haben, damit es den Sachverhalt prüfen kann. Nach den Erstattungsbedingungen von TAP ist eine Erstattung der Flugscheinkosten in Geld ausgeschlossen, wenn der Fluggast die Erstattung in Form eines Reisegutscheins wählt. Der Fluggast beantragte die Erstattung durch Ausstellung eines Reisegutscheins, den er sodann per E-Mail zugesandt bekam. Zwei Monate später trat er seine Ansprüche an Cobult ab, die TAP aufforderte, den Preis des annullierten Fluges in Geld binnen 14 Tagen zu erstatten. Da TAP dies ablehnte, erhob Cobult Klage vor den deutschen Gerichten.

Das Landgericht Frankfurt am Main fragt nach der Auslegung der einschlägigen „Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91„, insbesondere der Wendung „mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts“, einer Voraussetzung für die Erstattung in Form eines Reisegutscheins. Das Landgericht möchte vom Unionsgerichtshof wissen, ob das Erfordernis, ein „schriftliches Einverständnis des Fluggasts“ einzuholen, eine förmliche Voraussetzung für die Abwicklung einer Erstattung in Form eines Reisegutscheins darstellt.

Mit einem solchen Vorabentscheidungsersuchen haben die Gerichte der Mitgliedstaaten die Möglichkeit, dem Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Rechtsstreits, über den sie zu entscheiden haben, Fragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts oder die Gültigkeit einer Handlung der Europäischen Union vorzulegen. Der Unionsgerichtshof entscheidet dabei nur über die vorgelegte Rechtsfrage, nicht hingegen auch den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Dieser ist  im Anschluss unter Zugrundelegung der Entscheidung des Unionsgerichtshofs von den nationalen Gerichten zu entscheiden. Die Entscheidung des Unionsgerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, wenn diese über vergleichbare Fragen zu befinden haben.

In seiner Antwort bestätigt der Gerichtshof der Europäischen Union nun, dass davon auszugehen ist, dass der Fluggast sein „schriftliches Einverständnis“ erteilt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Online-Formular ausgefüllt und darin diese Erstattungsmodalität unter Ausschluss der Auszahlung eines Geldbetrags gewählt hat. Hierfür ist es erforderlich, dass der Fluggast in der Lage ist, eine zweckdienliche und informierte Wahl zu treffen. Er muss also der Erstattung seiner Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins anstelle eines Geldbetrags nach Aufklärung zustimmen können. Dies setzt voraus, dass das Luftfahrtunternehmen in lauterer Weise klare und umfassende Informationen über die verschiedenen dem Fluggast zur Verfügung stehenden Erstattungsmodalitäten gegeben hat.

 

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 21. März 2024 – C -76/23