Der verspätete Rückflug – Ausgleichszahlung und Reisepreisminderung

Bei einem Anspruch auf Rückzahlung eines Teils des Reisepreises wegen Minderung aufgrund großer Verspätung des Rückfluges nach § 651d BGB handelt es sich um einen weitergehenden Schadensersatzanspruch nach Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO. Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind nach der Fluggastrechteverordnung allein wegen großer Verspätung gewährte Ausgleichsleistungen auf den Anspruch auf Rückzahlung eines Teils des Reisepreises wegen Minderung nach § 651d BGB aufgrund derselben großen Verspätung anzurechnen.

Der vom Reisekunden geltend gemachte Anspruch auf teilweise Rückzahlung des Reisepreises wegen Minderung aufgrund einer erheblichen Verspätung des Rückfluges nach § 651d BGB ist ein weitergehender Schadensersatzanspruch des Fluggastes, auf den nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO eine nach der Verordnung wegen großer Verspätung eines Flugs gewährte Ausgleichsleistung angerechnet werden kann.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff des „weitergehenden Schadens“ in Art. 12 FluggastrechteVO dahin auszulegen, dass er es dem nationalen Gericht ermöglicht, unter den Voraussetzungen des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen) oder des nationalen Rechts Ersatz für den wegen Nichterfüllung des Luftbeförderungsvertrags entstandenen Schaden, einschließlich des immateriellen Schadens, zu gewähren1. Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch handelt es sich um einen weitergehenden Schadensersatzanspruch des Fluggastes nach nationalem Recht im Sinne der Verordnung.

Dem steht nicht entgegen, dass der Anspruch nach deutschem Reisevertragsrecht auf einer Minderung des Reisepreises nach § 651d Abs. 1 BGB beruht und der Reisende unbeschadet der Minderung auch Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 651f BGB verlangen kann, wenn der Mangel der Reise auf einem Umstand beruht, den der Reiseveranstalter zu vertreten hat. Für die Qualifikation eines Anspruchs als weitergehender Schadensersatzanspruch im Sinne von Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO ist entscheidend, ob dem Fluggast mit dem Anspruch eine Kompensation für die durch die Nicht- oder Schlechterfüllung der Verpflichtung zur Luftbeförderung, etwa durch eine große Verspätung, erlittenen Nachteile gewährt wird, wobei es sich dabei nicht nur um einen Vermögensschaden, sondern auch um einen immateriellen Schaden, also insbesondere auch die dem Fluggast durch die Nichtbeförderung, Annullierung oder große Verspätung verursachten Unannehmlichkeiten2, handeln kann. Entsprechend wird in anderen Sprachfassungen der Fluggastrechteverordnung, wie etwa der englischen, französischen, italienischen, niederländischen und spanischen Sprachfassung, der umfassende Begriff einer „further compensation“, „indemnisation complémentaire“, „risarcimenti supplementari“, „verdere compensatie“ oder „compensación suplementaria“ verwendet. In diesem Sinne handelt es sich jedenfalls bei einer Minderung des Reisepreises, die allein auf eine große Verspätung des Rückfluges nach § 651d BGB zurückzuführen ist, um einen weitergehenden Schadensersatzanspruch nach Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO, da dem Reisenden durch die Minderung des Reisepreises ein Ausgleich für die ihm durch die große Verspätung entstandenen Unannehmlichkeiten gewährt wird3. Dies entspricht im Übrigen auch der Entstehungsgeschichte des Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO, wonach für die deutsche Sprachfassung der Begriff des „Schadensersatz“ statt der Begriffe „Schadensersatz und Minderung“ gewählt wurde, ohne dass damit eine Minderung des Reisepreises vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeschlossen werden sollte4.

Die demzufolge nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO mögliche Anrechnung der der Klägerin und ihrem Ehemann von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen nach der Verordnung gewährten Ausgleichsleistung auf den Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung eines Teils des Reisepreises wegen Minderung folgt nach deutschem Recht aus den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung.

Nach den von der Rechtsprechung im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Interessenausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden, indem der Geschädigte einerseits nicht besser gestellt wird, als er ohne das schädigende Ereignis stünde, ihm aber andererseits auch nur solche Vorteile auf den Schadensersatzanspruch angerechnet werden, deren Anrechnung mit dem Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet5.

Nach diesen Grundsätzen, die auch auf Minderungsansprüche anwendbar sind6, sind die der Klägerin und ihrem Ehemann gewährten Ausgleichsleistungen nach der Fluggastrechteverordnung auf deren Anspruch auf Rückzahlung eines Teils des Reisepreises anzurechnen. Ausgleichszahlungen nach Art. 7 FluggastrechteVO zielen zwar nicht notwendigerweise auf den Ausgleich derselben Nachteile wie Minderungsansprüche aufgrund eines Reisemangels nach § 651d BGB. Im vorliegenden Fall sind beide Ansprüche jedoch nicht nur adäquat kausal auf die starke Verspätung des Rückfluges nach Düsseldorf zurückzuführen, sondern dienen auch gleichermaßen dem Ausgleich der der Klägerin und ihrem Ehemann verspätungsbedingt entstandenen Unannehmlichkeiten. Durch die Kumulierung der Ansprüche würden die Klägerin und ihr Ehemann eine Doppelentschädigung erhalten, ohne dass es für eine solche Überkompensation, etwa auch im Vergleich mit Reisenden, die ein anderes Verkehrsmittel benutzen, eine gesetzliche Rechtfertigung gibt. Von daher ist die Anrechnung des Ausgleichs für die Klägerin und ihren Ehemann auch zumutbar.

Eine Anrechnung ist auch nicht im Hinblick darauf ausgeschlossen, dass Schuldner des Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 FluggastrechteVO das ausführende Luftfahrtunternehmen und Schuldner des Anspruchs auf Rückzahlung eines Teils des Reisepreises nach § 651d BGB der Reiseveranstalter ist. Denn bei Erfüllung der ihm aus Art. 7 ff. FluggastrechteVO erwachsenden Verpflichtungen ist davon auszugehen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen mit Wirkung für und gegen den Reiseveranstalter handelt, wie sich aus Art. 3 Abs. 5 Satz 2 FluggastrechteVO ergibt7.

Es handelt sich auch um eine hinreichend geklärte Rechtslage, so dass es keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO bedarf.

Die dem Uniongerichtshof vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen, ob ein vom nationalen Recht gewährter Schadensersatz, der auf die Erstattung von zusätzlichen Reisekosten gerichtet ist, die wegen Annullierung eines gebuchten Fluges angefallen sind, auf den Ausgleichsanspruch aus Art. 7 FluggastrechteVO angerechnet werden kann, wenn das Luftfahrtunternehmen seine Verpflichtungen nach Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 FluggastrechteVO erfüllt hat, und ob dies auch für die Kosten der Ersatzbeförderung zum Endziel der Flugreise gilt8, stellen sich im vorliegenden Fall nicht, weil die von der Klägerin geltend gemachte Minderung allein auf eine starke Verspätung des Rückfluges gestützt ist und damit weder zusätzliche Reisekosten noch die Kosten einer Ersatzbeförderung betrifft. Auch die seinerzeit weiterhin vorgelegte Frage, ob bei einer möglichen Anrechnung das Luftfahrunternehmen diese stets vornehmen kann oder die Anrechnung davon abhängig ist, inwiefern das nationale Recht sie zulässt oder das Gericht sie für angemessen erachtet9, gibt keinen Grund zur Vorlage, weil alle Alternativen im vorliegenden Fall gegeben sind. Dass die Beklagte die Anrechnung der Ausgleichszahlungen des Luftfahrtunternehmens geltend macht und die Anrechnung nach deutschem Recht zulässig ist, ist bereits ausgeführt worden. Die obigen Erwägungen zur Vorteilausgleichung rechtfertigen es zudem, die Anrechnung im Rahmen einer die beidseitigen Interessen der Parteien berücksichtigenden Ermessensentscheidung, die auch vom Bundesgerichtshof auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts getroffen werden kann, als angemessen zu erachten. Schließlich stellt sich auch die vierte seinerzeit vorgelegte Frage nicht10, weil es im vorliegenden Fall allein um einen Ausgleich verspätungsbedingter Unannehmlichkeiten der Klägerin und damit nicht auch um den Ausgleich materieller Schäden geht.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 30. September 2014 – X ZR 126/13

  1. EuGH, Urteil vom 13.10.2011 – C83/10, NJW 2011, 3776 Rn. 38 – Aurora Sousa Rodríguez/Air France SA
  2. vgl. Erwägungsgründe 2 und 12 FluggastrechteVO
  3. ebenso: Staudinger/Staudinger (2011), § 651d BGB Rn. 8; Führich, Reiserecht, 6. Aufl.2010 Rn. 1065a; Tonner, Der Reisevertrag, 5. Aufl.2006, S. 259 Rn. 47; Leffers, RRa 2008, 258, 260 f.; Bollweg, RRa 2009, 10, 12 ff.; aA noch Führich, RRa 2007, 58, 61
  4. vgl. den Bericht von Bollweg zur Entstehungsgeschichte von Art. 12 Abs. 1 Fluggastrechte VO und insbesondere der deutschen Sprachfassung, aaO, 14 f.
  5. BGH, Urteil vom 28.06.2007 – VII ZR 81/06, BGHZ 173, 83 Rn. 18 mwN
  6. BGH, Beschluss vom 20.12 2010 – VII ZR 100/10, NJW-RR 2011, 377 Rn. 2
  7. BGH, Beschluss vom 11.03.2008 – X ZR 49/07, NJW 2008, 2119 Rn. 18
  8. BGH, Beschluss vom 30.07.2013 – X ZR 113/12, EuZW 2013, 840 [Leitsätze]
  9. BGH, aaO; vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 28.06.2011 – C83/10 Rn. 64
  10. vgl. BGH, aaO