Corona – und der Rücktritt von der gebuchten Pauschalreise

Der Bundesgerichtshof hatte aktuell  in drei Fällen über Ansprüche auf Rückzahlung des Reisepreises nach einem aufgrund der Corona-Pandemie erfolgten Rücktritt von Pauschalreiseverträgen zu entscheiden:

In den drei Verfahren nimmt jeweils eine Kundin eine Reiseveranstalterin auf Erstattung der Anzahlung für eine Pauschalreise in Anspruch, nachdem sie vor Antritt der Reise wegen der Covid-19-Pandemie von dem Vertrag zurückgetreten ist:

  1. Im ersten Verfahren1 buchte die Kundin im Januar 2020 eine Donaukreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. Juni 2020 zu einem Gesamtpreis von 1.599,84 €. Die Kundin trat am 7. Juni 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 319,97 €. Die Reiseveranstalterin berechnete weitere Stornokosten in Höhe von insgesamt 999,89 € (85 % des Reisepreises, unter Abzug einer Gutschrift). Die Kundin bezahlte diesen Betrag nicht. Die Flusskreuzfahrt wurde mit einem angepassten Hygienekonzept und einer von 176 auf 100 verringerten Passagierzahl durchgeführt.

  2.  

    Im zweiten Verfahren2 buchte der Kunde im Februar 2020 eine Pauschalreise nach Mallorca im Zeitraum vom 5. bis 17. Juli 2020 für 3.541 €. Der Kunde trat am 3. Juni 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 709 €. Die Reiseveranstalterin berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt 886 € (25 % des Reisepreises) und belastete die Kreditkarte des Kundes um weitere 177 €. Das vom Kunde gebuchte Hotel war zum Zeitpunkt seines Rücktritts und im Reisezeitraum geschlossen.

  3.  

    Im dritten Verfahren3 buchte der Kunde eine Ostseekreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. August 2020 für 8.305,10 €. Der Kunde trat am 31. März 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung in Höhe von 3.194 €. Die Kreuzfahrt wurde von der Reiseveranstalterin am 10. Juli 2020 abgesagt.

Alle drei Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg:

  1. Im ersten Verfahren1 (der Flusskreuzfahrt) sind erstinstanzlich das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt4 und in der Berufungsinstanz das Landgericht Stuttgart5 zu dem Ergebnis gelangt, schon im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung sei aufgrund der erhöhten Ansteckungsgefahr eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise durch die Covid-19-Pandemie als unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB hinreichend wahrscheinlich gewesen.
     
  2. Im zweiten Verfahren2 (der Mallorca-Reise) haben das Amtsgericht und das Landgericht Düsseldorf einen Rückzahlungsanspruch bejaht, weil das vom Kunde gebuchte Hotel im fraglichen Zeitraum geschlossen war und schon dieser Umstand dazu führe, dass der Kunde ohne Entschädigungspflicht vom Vertrag habe zurücktreten können6.
     
  3. Im dritten Verfahren3 (der Ostsee-Kreuzfahrt) haben das Amtsgericht Hersbruck7 und in der Berufungsinstanz das Landgericht Nürnberg-Fürth8 offen gelassen, ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB im Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen, und einen Rückzahlungsanspruch schon aufgrund der später erfolgten Absage der Reise bejaht.

In allen drei Fällen hängt die Begründetheit der Klagendavon ab, ob die jeweils beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch der jeweiligen Klagepartei auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschädigungsanspruch sieht das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Der Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB liegt nicht nur dann vor, wenn feststeht, dass die Durchführung der Reise nicht möglich ist oder zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit oder sonstiger Rechtsgüter des Reisenden führen würde. Sie kann vielmehr schon dann zu bejahen sein, wenn die Durchführung der Reise aufgrund von außergewöhnlichen Umständen mit erheblichen und nicht zumutbaren Risiken in Bezug auf solche Rechtsgüter verbunden wäre. Die Beurteilung, ob solche Risiken bestehen, erfordert regelmäßig eine Prognose aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden.

Vor dem Bundesgerichtshof kam es in den drei Verfahren nun zu unterschiedlichen Entscheidungen:

  1. Im ersten Verfahren1 (der Flusskreuzfahrt)  blieb die Revision der Reiseveranstalterin vor dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg.

    Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist die Covid-19-Pandemie im Reisezeitraum (Sommer 2020) als Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB zu bewerten, der grundsätzlich geeignet war, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. Eine Anwendung von § 651h Abs. 3 BGB ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Covid-19-Pandemie weltweit wirkte und dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort der Reisenden vorgelegen haben.

    Das Landgericht Stuttgart ist im Rahmen seiner tatrichterlichen Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass im Zeitpunkt des Rücktritts eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie hinreichend wahrscheinlich war. Diese Würdigung hat der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerfrei bewertet. Das Landgericht hat eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung der Kundin insbesondere wegen der räumlichen Verhältnisse an Bord eines Flusskreuzfahrtschiffs, der nicht bestehenden Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen Covid 19 bejaht. Es hat dabei das Hygienekonzept der Reiseveranstalterin und den Umstand, dass die im Zeitpunkt des Rücktritts bestehende Reisewarnung befristet war und noch vor Beginn der Reise ablief, berücksichtigt. Zulässigerweise hat es auch auf das Alter der Kundin Bezug genommen. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn erst solche Umstände, die bei Vertragsschluss noch nicht absehbar waren, und die daraus resultierenden Risiken dazu führen, dass die Reisende zu einer Personengruppe gehört, für die die Reise mit besonderen Gefahren verbunden ist. Nach den Umständen bei Vertragsschluss hätte das Alter der Kundin einer Teilnahme an der Reise nicht entgegengestanden – erst die Pandemie und die aus ihr folgenden Risiken haben den Charakter der Reise verändert.
     

  2. Im zweiten Verfahren2 (der Mallorca-Reise) führte die Revision der Reiseveranstalterin zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Düsseldorf.

    Zutreffend hat das Landgericht Düsseldorfd angenommen, dass der Vortrag des Kundes zu der durch Unsicherheit und Unwägbarkeiten geprägten pandemischen Lage in €pa ab Frühjahr 2020 und zu allgemeinen Maßnahmen zur Herabsetzung der Infektionswahrscheinlichkeit sowie die Bezugnahme auf ein für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erstelltes Gutachten nicht den Schluss auf eine erhebliche Beeinträchtigung zulassen, weil daraus nicht hervorgeht, welche konkreten Infektionsrisiken im maßgeblichen Zeitraum (Juli 2020) auf Mallorca bestanden.

    Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB ergibt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen auch nicht daraus, dass das vom Kunde gebuchte Hotel im Reisezeitraum geschlossen war. Zwar kann die Unterbringung in einem anderen als dem gebuchten Hotel trotz Zuweisung einer gleichwertigen Ersatzunterkunft am gleichen Ort einen zur Minderung berechtigenden Reisemangel darstellen. Ein zur Minderung berechtigender Reisemangel begründet aber nicht ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB. Ob eine solche Beeinträchtigung gegeben ist, ist aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie an Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine solche Würdigung auch dann erforderlich, wenn der Reisende in einem anderen Hotel untergebracht werden soll. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat das Landgericht im Streitfall unterlassen. Der Bundesgerichtshof kann diese im Wesentlichen dem Tatrichter überlassene Würdigung nicht selbst vornehmen.

  3. Im dritten Verfahren3 (der Ostsee-Kreuzfahrt) hat der Bundesgerichtshof entsprechend § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der €päischen Union auf ein in einem anderen Verfahren ergangenen Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs9 anhängigen Vorabentscheidungsverfahren10 ausgesetzt. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung der dem Gerichtshof der €päischen Union bereits vorliegenden Rechtsfrage zur EU-Pauschalreise-Richtlinie ab.

Bundesgerichtshof, Urteile vom 30. August 2022 – X ZR 66/21 und X ZR 84/21; sowie, Beschluss vom 30. August 2022 – X ZR 3/22

  1. BGH – X ZR 66/21
  2. BGH – X ZR 84/21
  3. BGH – X ZR 3/22
  4. AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Urteil vom 20.11.2020 – 12 C 1596/20
  5. LG Stuttgart, Urteil vom 22.07.2021 – 5 S 217/20
  6. AG Düsseldorf, Urteil vom 07.01.2021 – 27 C 37/20; LG Düsseldorf, Urteil vom 06.09.2021 – 32 S 31/21
  7. AG Hersbruck, Urteil vom 21.05.2021 – 1 C 804/20
  8. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 17.12.2021 – 5 S 3127/20
  9. BGH – X ZR 53/21
  10. EuGH – C-477/22